Gedichte


Lied von der belebenden Wirkung des Geldes (Bertolt Brecht)

Niedrig gilt das Geld auf dieser Erden
Und doch ist sie, wenn es mangelt, kalt
Und sie kann sehr gastlich werden
Plötzlich durch des Gelds Gewalt.
Eben war noch alles voll Beschwerden
Jetzt ist alles golden überhaucht
Was gefroren hat, das sonnt sich
Jeder hat das, was er braucht!
Rosig färbt der Horizont sich
Blicket hinan: der Schornstein raucht!
Ja, da schaut sich alles gleich ganz anders an.
Voller schlägt das Herz. Der Blick wird weiter.
Reichlich ist das Mahl. Flott sind die Kleider.
Und der Mann ist jetzt ein andrer Mann.

Ach, sie gehen alle in die Irre
Die da glauben, daß am Geld nichts liegt
Aus der Fruchtbarkeit wird Dürre
Wenn der gute Strom versiegt.
Jeder schreit nach was und nimmt es, wo er's kriegt.
Wer nicht gerade Hunger hat, verträgt sich
Jetzt ist alles herz- und liebeleer.
Vater, Mutter, Brüder: alles schlägt sich!
Sehet: der Schornstein, er raucht nicht mehr!
Überall dicke Luft, die uns gar nicht gefällt.
Alles voller Haß und voller Neider.
Keiner will mehr Pferd sein, jeder Reiter.
Und die Welt ist eine kalte Welt.

So ist's auch mit allem Guten und Großen
Es verkümmert rasch in dieser Welt.
Denn mit leerem Magen und mit bloßen
Füßen ist man nicht auf Größe eingestellt.
Man will nicht das Gute, sondern Geld
Und man ist von Kleinmut angehaucht.
Aber wenn der Gute etwas Geld hat
Hat er, was er doch zum Gutsein braucht.
Wer sich schon auf Untat eingestellt hat
Blicke hinan: der Schornstein raucht!
Ja, da glaubt man wieder an das menschliche Geschlecht.
Edel sei der Mensch, gut und so weiter.
Die Gesinnung wächst. Sie war geschwächt.
Fester wird das Herz. Der Blick wird breiter.
Man erkennt, was Pferd ist und was Reiter.
Und so wird das Recht erst wieder Recht.



Der Kommunismus ist das Mittlere (Bertolt Brecht)

Zum Umsturz aller bestehenden Ordnung aufzurufen
Scheint furchtbar.
Aber das Bestehende ist keine Ordnung.

Zur Gewalt seine Zuflucht zu nehmen
Scheint böse.
Aber da, was ständig geübt wird, Gewalt ist
Ist es nichts Besonderes.

Der Kommunismus ist nicht das Äußerste
Was nur zu einem kleinen Teil verwirklicht werden kann,
       sondern
Vor er nicht ganz und gar verwirklicht ist
Gibt es keinen Zustand, der
Selbst von einem Unempfindlichen ertragbar wäre.

Der Kommunismus ist wirklich die geringste Forderung
Das Allernächstliegende, Mittlere, Vernünftige.
Wer sich gegen ihn stellt, ist nicht ein Andersdenkender
Sondern ein Nichtdenkender oder ein nur Ansichdenkender
Ein Feind des Menschengeschlechtes
Furchtbar
Böse
Unempfindlich
Besonders
Das Äußerste wollend, was selbst zum kleinsten Teil
        verwirklicht
Die ganze Menschheit ins Verderben stürzte.



Die Stürmung der Stadtbücherei von Fort Worth (Robert Gernhardt)

Die Presseagentur Reuter meldet: Etwa fünfhundert Besucher haben die Stadtbücherei von Fort Worth/Texas gestürmt und die gesamte Belletristik-Abteilung verwüstet, da der Disc-Jockey des Lokalsenders KYNG die gutgemeinte Falschmeldung verbreitet hatte, in den Büchern seien zur Hebung der Leselust Banknoten als Lesezeichen versteckt worden.

Beim Sender KYNG in Fort Worth gab es einen,
   den's reute,
daß die Leute immer nur Radio hörten. Daher sagte
   er: "Leute,
es gibt auch so was wie innere Werte,
ich nenn' euch jetzt mal 'ne ganz heiße Fährte:
In den Büchern der Stadtbücherei von Fort Worth
   findet ihr Lesezeichen,
mit denen lassen sich alle Außenstände begleichen."
Diese Nachricht machte schnell die Runde.
Sie ging besonders bei den Tramps und den Arbeits-
   losen von Mund zu Munde.
Denn die hatten grad Zeit und sagten sich: Anstatt
   wie die Ratten
hier rumzuhängen, können wir ebenso gut unserer
   geliebten Stadtbücherei einen Besuch abzustatten.

Die ihr das lest in eurem Lesezimmer,
denkt nicht: Wie schlimm! Es kommt noch schlimmer!
Bedenkt: Wie schlecht muß es um solche Menschen stehn,
wenn die aus freien Stücken in eine Stadtbücherei gehn!

Kurz darauf herrschte in der Belletristik-Abteilung
   schon ein ziemliches Gewühle.
Die massenhaft eingetroffenen Leseratten nämlich
   scherten sich nicht um Tische und Stühle,
sie überprüften ihre Lektüre direkt auf den Regalen,
und diese Untersuchungen führten zu eindrucks-
   vollen Zahlen:
Circa 3000 Exemplare der sogenannten "Schönen
   Literatur"
lagen schließlich am Boden. Von manchen waren nur
noch Deckel und Rücken übriggeblieben,
den Rest hatten die Literaturforscher aufgerieben,
als sie um die Ehre stritten,
wer Dickens überprüfen dürfe und wer Bulwer-
   Lytton.

Die ihr das lest in euren Lektüre-Kabinetten,
denkt nicht: Sind die in Texas noch zu retten?
Bedenkt lieber: Was wäre die Folge gewesen,
hätten sie die Bücher nicht nur gefleddert, sondern auch gelesen?


Dann hätten sie womöglich die Gedichte eines Bert
   Brecht in die Hände bekommen,
und der hätte die Arbeitslosen ganz schön in die
   Mangel genommen:
"Anstatt hier die Stadtbücherei von Fort Worth zu
   versauen,
sollt ihr lieber lernen und den Kommunismus in
   Texas aufbauen.
Sodann in Arizona. Und endlich in den Vereinigten
   Staaten."
Und stellt euch vor, diesen Worten wären Taten
gefolgt, weil die Verdammten von Fort Worth
   eingesehen hätten:
"Der Mann hat ja recht! Nur der Kommunismus
   kann uns noch retten!
Kommunismus oder der Tod!
So oder so: Der Westen wird rot!"

Ja, da erblaßt ihr vor euren Bücherwänden.
Deshalb lasse ich die Angelegenheit lieber glimpflich enden.
Denn 1994 pflegt man hier auf Erden -
anders als 1934 - die Suppen nicht zu heiß zu essen,
   wie sie gekocht werden:


Ich lasse also Brecht unter die Brecht-Leser von Fort
   Worth treten
und sagen: "Ich hätte um etwas mehr Respekt
   vor der Dialektik gebeten.
Und die lehrt nun mal: Um vom Brecht zu lernen,
muß man sich soweit wie möglich vom Brecht
   entfernen.
Der Brecht hat die Bücher der Klassiker immer mit
   großer Sorgfalt gelesen
und ist gerade deshalb nicht vor ebenso großen
   Irrtümern gefeit gewesen.
Wäre es nicht zur Abwechslung auch mal
   gutzuheißen,
all die Schriften nicht zu verhimmeln, sondern auf
   die Erde zu schmeißen?
Macht also ruhig weiter. Die brauchbaren werden das
   schon überstehn.
Und dann laßt uns einen Whiskey kippen und eine
   Henry Clay rauchen gehn."



Restaurant (Gottfried Benn)

Der Herr drüben bestellt sich noch ein Bier,
das ist mir angenehm, dann brauche ich mir keinen
   Vorwurf zu machen
daß ich auch gelegentlich einen zische.
Man denkt immer gleich, man ist süchtig,
in einer amerikanischen Zeitschrift las ich sogar,
jede Zigarette verkürze das Leben um sechsunddreißig
   Minuten,
das glaube ich nicht, vermutlich steht die Coca-Cola-
   Industrie
oder eine Kaugummifabrik hinter dem Artikel.

Ein normales Leben, ein normaler Tod
das ist auch nichts. Auch ein normales Leben
führt zu einem kranken Tod. Überhaupt hat der Tod
mit Gesundheit und Krankheit nichts zu tun,
er bedient sich ihrer zu seinem Zwecke.

Wie meinen sie das: der Tod hat mit Krankheit nichts
   zu tun?
Ich meine das so: viele erkranken, ohne zu sterben,
also liegt hier noch etwas anderes vor,
ein Fragwürdigkeitsfragment,
ein Unsicherheitsfaktor,
er ist nicht so klar umrissen,
hat auch keine Hippe,
beobachtet, sieht um die Ecke, hält sich sogar zurück
und ist musikalisch in einer anderen Melodie.